Einige Leser wissen es ja bereits, was ich den anderen hier an der Stelle noch einmal sagen muß. Ich bin ein Ossi oder eigentlich ein Wessi mit guter Ostvergangenheit. Die Begriffe Ossi und Wessi wurden erst nach der Wende erfunden. Zu einer Zeit als ich schon lange im westlichen Teil des heute gemeinsamen Landes lebte.
Schon zu Zeiten meines Lebens im Raum des Sozialismus, gab es den ersten und manchmal auch intensiven Kontakt zu Alkohol. Wir Kinder in der DDR hatten ja auch sonst nichts, abgesehen von echten Freunden, ein Fahrrad, die Frequenzen des Westradios und verdammt viel Unsinn im Kopf. Doch in der Phase als die Pubertät anfing, hatten wir immer irgendwoher ein paar Flaschen Bier oder ein wenig Taschengeld, von allen zusammen gelegt versteht sich, für billigen rumänischen Rotwein. Wir kamen also recht früh dazu. An das vernichten von Alkohol zum Schutze der sozialistischen Bevölkerung. Gleichzeitig fingen die ersten Versuche mit dem Nikotin an. Man wollte Cool sein, wobei das Wort noch gar nicht so sehr in unserem Sprachschatz war.
Eines schönen Herbsttages. Es kann auch ein verregneter Spätsommertag gewesen sein. Hatte unsere Klasse, die zu einem Großteil von 90% zur gleichen Clique gehörte. Die ehrenvolle Aufgaben zum Wehrkundeunterricht am späten Nachmittag zu erscheinen.
Wenn mich meine Erinnerung nicht ganz täuschte, waren diese Veranstaltung nicht nur Pflicht, sondern sollten zum sicheren Gehorsam für den sozialistischen Staat dienen. Bei dem gleichzeitig das Feindbild gefestigt werden sollte.
So ganz am Rande sei erwähnt, das nach der Wende die Bundeswehr und die NVA lautstark verkündeten es hätte nie ein Feindbild gegeben. Weder in Ost und West. Na wer es glaubt.
Doch zurück zu dem besagtem Tage. Wir hatten weder Lust noch Laune zu dem NVA Mist. Und irgendwie hatte der eine oder andere zu Hause dem Vater eine Flasche Bier leihweise entwendet. Von klauen konnte keine Rede sein, den schliesslich bekamen die Väter die Flaschen ja zurück, wenn auch leer.
Hier Bier und da Wein, andere hatte zusammengelegt und eine Schachtel Zigaretten besorgt. Oder aus Dauerleihgabe besorgt. Woher das Zeug kam war ja auch vollkommen egal, es interessierte keinen und keiner fragte.
Wir trafen uns also mit reichlich Genussmitteln eine gute Stunde vor dem Beginn des Wehrunterrichts. Genau an der Stelle wo wir uns morgens vor der Schule trafen. 100% von den oben erwähnten 90% teilten sich die Genussmittel kameradschaftlich. Die restlichen 10% waren damals schon schlauer oder vorsichtiger. Genau lässt sich das heute nicht mehr nachhalten, was schlußendlich auch vollkommen unwichtig ist.
Auch läßt sich nicht mehr in Erfahrung bringen, ob die einen oder anderen, die Mehrzahl ist hier an der Stelle schon richtig, man soff damals nur in Gesellschaft, schon ein wenig vorgeglüht hatte. Die flüssigen Genussmittel waren schnell durch durstige Kehlen gelaufen. Und auch die Friedenspfeifen hatten rapide abgenommen.
Und der Zeitpunkt zum Erscheinen in der Schule war greifbar nah. Uns blieb nichts anderes übrig, als schnellen Schrittes zur Lehranstalt für gute sozialistische Kinder zu eilen. Man sollte es nicht glauben, wir waren sogar pünktlich.
Haaa. Schon fast mustergültige Jungkommunisten. Aber nur fast und auch nie zu 1%.
Nun muß der geneigte Leser, der nicht in der DDR aufgewachsen war wissen. Es gab ein gewisses Ritual an jeder Schule in jeder Klasse zu jeder Unterrichtsstunde.
Kam also die Lehrkraft in den Klassenraum, so hatten sich die dummen Schüler, die jedoch Willens war den Sozialismus zu dienen, und deshalb ja wieder klug war, zu erheben. Jeder stand dann dabei hinter seinem Stuhl, der ordnungsgemäss an die Schulbank geschoben war. Um darauf zu warten, das besagte Lehrkraft an den Lehrkraftpult angekommen war. Seine Tasche verstaut hatte und diverses Zeug auf den Pult platziert hatte.
Dann stellte sich die Lehrkraft vor der Klasse auf und schmetterte mit lauter aber feste Stimme ein „Freundschaft“ in die Stille des Lehrraumes.
Die zukünftigen mustermässig, partei sowie staatstreuen Diener für Fahne, Partei, Sozialismus und Vaterland, sollte mit einem dynamischen sympathischen und offenen „Freundschaft“ antworten. Was allerdings meist nur recht lustlos von 50% vorgetragen wurde. Die anderen 50% bewegten nur stumm die Lippen. Das sich dabei die 50% verschoben muß nicht erwähnt werden.
Nicht zu 60/40 oder 30/70. Nein vielmehr sprachen mal die Leute laut die an anderen Stellen nur die Lippen bewegten.
Diese Erklärung ist wichtig für das Verständnis in der folgenden Geschichte. Die sich wahrhaftig zugetragen hat. (Amerk. Die Namen wurden geändert, ich glaub das die Freunde von damals, welche heute immer noch Freunde sind, schon wissen wie die richtigen Namen waren)
Wir erreichten also den Klassenraum in unserer Schule pünktlich. Und nahezu in einem tadellos gutem Zustand, so jedenfalls äußerlich. Selbst der Geruch aus unseren Mündern von den vorher zugenommen Genussmitteln wurde mit irgendwas versucht zu vertuschen. Was wir seinerzeit verwendet hatten, ich hab es verdrängt.
Die Schulglocke glockte die neue Unterrichtsstunde ein. Wir erhoben uns von unseren Plätzen und stellten uns recht lustlos hinter Tische und Stühle. Die Tür flog auf und krachte auch schon wieder ins Schloss. Mit der Bewegung der Tür kam ein Ausbildungsoffizier der NVA im Stechschritt durch den Raum geflogen. Schirmmütze, dunkelgrüne Uniform mit Rangabzeichen auf den Schultern und Verdienstzeichen auf der Brust. Polierten Koppelzeug und auf Hochglanz polierte Schaftstiefel die bis kurz unters Knie gingen. Der Herr Offizier war älteres Baujahr, und wird seine Ausbildung schon bei der Wehrmacht genossen haben. Nun sah er halt blaue FDJ-Hemden statt braune Hemden aus der Vergangenheit. Recht oder Linksextrem ist nur wirklich nicht so unterschiedlich.
Und so stand er dann auch vor uns. In seiner, für ihn so schönen Uniform, wie aus dem Lehrbuch der Wehrmacht.. oh sorry NVA geklaut. Die Hände hinterm Rücken verschränkt und schaute überheblich auf uns in den FDJ Hemden. Und er wartete. Auf was wird immer sein Geheimnis bleiben, doch es war ein Fehler.
Seit damals bin ich der felsenfesten Meinung, das langes gerades Stillstehen unter Alkoholeinfluß, die Wirkung von selbigen prozentual um ein vielfaches anhebt.
Es dauerte ein ganze Weile, bis unser NVA Offizier mit klaren, lauten und preußisch geprägter Tonlage das Begrüßungswort in die Stille das Klassenraumes entließ. Zu lange für Klassenkameraden Markus. Den außer der ersten Silbe kam der Inhalt seines Magens zeitgleich aus den weit geöffneten Mund. Soweit wäre das kein große Problem geworden. Ja wenn, nicht Markus genau vor dem NVA Kasper gestanden hätte. Und sich dadurch eine Mischung aus Frühstück, Mittag und alkoholischen Genussmittel über die Stiefel des Wehrmacht, sorry NVA Offiziers ergoss.
Totenstille im Raum. Nur hier und da hörte man das würgen anderer.
„So eine Scheisse. Macht die Sauerei hier weg“, brüllte der NVA Kasper durch den Raum um diesen im Stechschritt zu verlassen.
Die Mädels in der Klasse fingen an den Boden zu putzen. Was ich im Nachhinein als besondere Leistung hervor heben möchte. Nicht das wir Jungs uns zu fein gewesen wären. Nur die meisten hatten wie ich auch, so ein komisches Würgen im Magen mit gleichzeitigen Schluckbeschwerden.
Alkohol im Blut und der Mageninhalt vor dem Auge, ist bei mir nicht besonders förderlich für das eigene Wohlbefinden.
Es wird 10 Minuten gedauert haben, das die Mädels die Sauerei beseitigt hatten.Und der NVA Kasper mit geputzten Stiefeln wieder vor uns stand. 10 Minuten die wie eine halbe Ewigkeit erscheinen, und noch länger werden wenn ein Ekelgefühl durch den eigenen Körper unterwegs ist.
Doch der NVA Volldepp hatte nichts gelernt, vielleicht waren es auch Begleiterscheinung jahrzehntelange Umerziehung zum vorbildlichen sozialistischen Soldaten. Als er gerade zur Wiederholung des Begrüßungsritual den Mund öffnete. Rannte Markus auch schon los. Um den nächsten Schwall seinen Mageninhaltes los zu werden. Zum Glück für den NVA Kasper in das Waschbecken am Ende des Klassenraumes.
Herrn Offizier entglitten dabei alle Gesichtszüge. Doch er blieb preußisch standhaft stehen. Wobei der dritte Versuch der Begrüßung dann sehr schnell ablief. Erleichtert fielen wir auf unsere Stühle.
Von dem Vortrag, wie sich ein guter Kommunist verhalten sollte, hab ich auf Grund meiner Beschwerden aus der Magengegend nicht so richtig folgen können. Was auch bei der Betrachtung des Propagandafilmes im Anschluß nicht besser wurde. Wo meine Platznachbarin mehr Mühe damit hatte, mich davon abzuhalten mit dem Gesicht in ihren Ausschnitt der FDJ Bluse zu fallen. Mir war nicht nur schlecht, ich war auch todmüde. Und statt einer harten Wand, zog ich die weichen warmen Rundungen einer jungen Frau dann doch vor.
Die verlorene Zeit am Anfang mußten wir natürlich daran hängen. Und gleichzeitig wurde noch ein zusätzlicher Termin zur Ausbildung der jungen Pflichtbewussten Kommunisten vereinbart.
Leider hab ich vergessen wie wir alle nach Hause gekommen sind. Und was es als Erklärung für das späte Erscheinen zu Hause gab. Wahrscheinlich ist aber, das man nichts gesagt hat, weil man nicht gefragt wurde. War schliesslich eine politische Schulsache, da kann so allerhand passieren.
In den nachfolgenden Stunden dieser Ausbildung stand der NVA Kasper ein ganzes Stück weiter von uns entfernt. Er hatte gelernt. Wir allerdings auch. Und wer jetzt der Meinung ist, wir wären zu solchen Veranstaltungen nüchtern erschienen. Der irrt gewaltig.
Wir waren wild, jung, verrückt und frei. Mehr frei als der Staat es gerne hatte.
Wie sang eine Kölner Band vor ein paar Jahren
„ Ne was war datt früher ne superjeile Zick, mit Träne in de Ochsen lurre ich manchmal zurück“
Dem kann und werde ich nichts zufügen und wiedersprechen.